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Im Jahr 2005 wurden 17 Fragen zur Migration in die deutsche Repräsentativstatistik, den Mikrozensus, aufgenommen. Die bis dahin existierende Unterscheidung in Deutsche und Ausländer hatte zunehmend durch die wachsenden Gruppen Spätaussiedler_innen, Eingebürgerte und in Deutschland geborene Ausländer_innen ihre Aussagekraft bezüglich Zuwanderung verloren. Aus den Fragen zur Migration wird der Migrationshintergrund abgeleitet. Sie machen auch Nachfahren von Eingewanderten in der Repräsentativstatistik sichtbar, so dass sie seitdem zu den Personen mit Migrationshintergrund zählen, selbst wenn sie mit deutscher Staatsangehörigkeit in Deutschland geboren sind.Bisher existieren kaum Studien, die sich mit der Einführung, Umsetzung und Folgen der neuen statistischen Kategorie beschäftigen. Ausnahmen bilden Untersuchungen zur Nutzung des Begriffs Migrationshintergrund im medialen Diskurs (Scarvaglieri/Zech 2013) und im Bundestag (Elrick/Schwartzman 2015). Zur Verbindung von statistischer Kategorie und Alltag liegt bisher nur eine (noch) unveröffentlichte Dissertation vor (Lang 2015, 2017). Ein aktueller Beitrag thematisiert das Missverhältnis zwischen statistischem und offenbarem Migrationshintergrund (Bednaschewsky/Supik 2018).Um die Lücke zu schließen, beschäftigt sich das Projekt mit der Einführung und Herstellung des Unterscheidungsmerkmals Migrationshintergrund und erkundet seine Auswirkungen im Alltag. Das Vorhaben lässt sich an der Schnittstelle von vier Forschungsfeldern verorten. Dazu gehören: 1) die ethnologische Beschäftigung mit Klassifikationssystemen, 2) wissensanthropologische und postkoloniale Untersuchungen zur Verbindung von Wissenschaft, Politik und Alltag, 3) Science and Technology Studies und 4) Forschungen zu nationalen und ethnischen Zugehörigkeiten. Diese vier theoretischen Bezüge sollen durch fünf empirische Zugänge miteinander in Beziehung gesetzt werden.Vorgesehen sind a) Feldforschungen in statistischen Ämtern als Produktionsstätten von Klassifikationen, b) Interviews mit Parlamentarier_innen, Verantwortlichen in Ministerien und statistischen Ämtern zur Entstehung und Weiterentwicklung der Mikrozensusfragen, c) Überblick über Definitionen des Migrationshintergrundes in ausgewählten wissenschaftlichen Disziplinen, d) mental maps zu deutscher Zugehörigkeit und Herkunft, e) Interviews mit in Deutschland Geborenen, die der sogenannten Zweiten oder Dritten Zuwanderungsgeneration zugerechnet werden sowie Personen ohne Migrationshintergrund.Die Ergebnisse werden auf einem Workshop mit Wissenschaftler_innen in und außerhalb von statistischen Ämtern diskutiert, die die Kategorie Migrationshintergrund nutzen, um die Auswirkungen von Wissenschaft im Alltag zu thematisieren. Hiermit soll insbesondere der Anspruch einer kritisch involvierten Ethnografie eingelöst und zu einer Entmigrantisierung der Migrationsforschung beigetragen werden, indem zu einer stärkeren Reflexion statistisch generierter Personenklassifikationen angeregt wird.
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